Bundesregierung beschließt Fachkräftestrategie

Am 12.10.2022 ist die neue Fachkräftestrategie der Bundesregierung beschlossen worden. Die Fachkräftestrategie wurde federführend durch das Bundesministerium für Arbeit und Soziales entwickelt. Sie schließt an die Ankündigungen aus dem Koalitionsvertrag an und führt die in der laufenden Legislaturperiode initiierten bildungspolitischen Reformen weiter.

Mit dem Maßnahmenpaket der Fachkräftestrategie möchte die Bundesregierung die Anstrengungen der Unternehmen und Betriebe, Fachkräfte zu gewinnen und zu halten, unterstützen und zudem einen Rahmen setzen für die notwendige Transformation der deutschen Wirtschaft vor dem Hintergrund der „Megatrends“ Digitalisierung, Demografie und Dekarbonisierung.

Die Fachkräftestrategie umfasst knapp 40 Seiten und ist unter diesem Link zum Download verfügbar. Für den Ansatz der Bundesregierung sind fünf Handlungsfelder zentral, wobei u.a. die folgenden Schwerpunkte gesetzt werden.

1. Zeitgemäße Ausbildung: Die Regierung hat sich das Ziel gesetzt, Aus- und Weiterbildung attraktiver zu machen und strebt dazu eine Modernisierung von Aus- und Fortbildungsordnungen an. Eine „Exzellenzinitiative Berufliche Bildung“ soll der beruflichen Bildung einen Schub geben. Für die besonders stark vom Fachkräftemangel betroffenen Schlüsselbereiche der Gesundheits-, Pflege- und Erziehungsberufe ist ein Abbau von (finanziellen) Ausbildungshürden und eine Ausweitung von Vergütungsmodellen geplant. Junge Menschen sollen auf dem Weg in die Ausbildung stärker unterstützt werden, dazu sollen Instrumente wie die Berufsorientierung, Jugendberufsagenturen, die Einstiegsqualifizierung und die Assistierte Ausbildung sowie Verbundausbildungen und außerbetrieblichen Ausbildungsangebote ausgebaut werden. Zudem soll eine Ausbildungsgarantie eingeführt werden – allerdings bleibt deren konkrete Ausgestaltung weiterhin offen.

2. Gezielte Weiterbildung: Die Bundesregierung verfolgt das Ziel einer Stärkung der Weiterbildungsbeteiligung und möchte dabei insbesondere die Belange von kleinen und mittleren Unternehmen berücksichtigen. Weiterbildung soll u.a. dafür dienen „Kompetenzen für neue Anforderungen und Tätigkeiten, für die es derzeit noch keine passenden Ausbildungsberufe gibt“, zu vermitteln. Das Kompetenzzentrum Fachkräftesicherung soll dabei helfen, Fachkräfte zu finden, zu binden und weiter zu qualifizieren. Die Transparenz auf dem Angebotsmarkt soll durch die mittelfristige Entwicklung einer Nationalen Online Weiterbildungsplattform (bis 2024) gestärkt werden. Als neue Mittel zur Stärkung der berufsbegleitenden Weiterbildung sind eine Bildungs(teil)zeit und ein Qualifizierungsgeld (primär für KMU, angelehnt an Kurzarbeitergeld) vorgesehen, zudem sollen Weiterbildungsverbünde zur Vernetzung von Unternehmen mit Akteuren der Weiterbildungslandschaft ausgebaut werden.

3. Arbeitspotenziale wirksamer heben, Erwerbsbeteiligung erhöhen: Ungenutzte Potenziale werden insbesondere bei der Erwerbstätigkeit von Frauen und bei der Arbeitsmarktintegration von Langzeitarbeitslosen gesehen. Angesichts der bestehenden Rückwirkungen auf die Möglichkeiten zur Arbeitsmarktpartizipation wird den Ausbildungs- und Arbeitsbedingungen im Gesundheits- und Sozialbereich eine besondere Aufmerksamkeit gewidmet: Entscheiden sich mehr Menschen für Karrieren in diesen Bereichen, erhalten andere Arbeitnehmer*innen die Möglichkeit mehr zu arbeiten. Daher gilt es, entsprechende Anreize zu setzen, um den Fachkräftemangel zu überwinden und Strukturen ausbauen zu können.

4. Verbesserung der Arbeitsqualität, Wandel der Arbeitskultur: Ein Wandel der Arbeitskultur soll vor allem durch eine menschengerechte Gestaltung der Arbeit stattfinden. So gilt es heute vor allem, ein gutes Gleichgewicht zwischen den Chancen und Herausforderungen der Digitalisierung (z.B. Flexibilisierung und mobiles Arbeiten vs. Entgrenzung und Verdichtung) zu schaffen. Die Unternehmen können diesbezüglich Unterstützung von der Initiative Neue Qualität der Arbeit (INQA) anfordern, die Förderprojekte, „die Lösungen für gute Arbeitsbedingungen und eine mitarbeiterorientierte Arbeitskultur schaffen“, initiieren. Um Fachkräfte nicht nur zu gewinnen, sondern auch zu halten und den Verbleib im Erwerbsleben zu stärken, wird eine strategische Personalarbeit in den Unternehmen vorausgesetzt. Anreize können hier u.a. durch Einstiegs- und Aufstiegsprogramme, Qualifizierungsangebote, flexible und planbare Arbeitszeiten und betriebliches Gesundheitsmanagement geschaffen werden.

5. Moderne Einwanderungspolitik, Reduzie­rung der Abwanderung: Die Bundesregierung will im Herbst Eckpunkte für ein modernes Einwanderungsgesetz vorlegen, welches zwei Ansätze verfolgt: 1. Die gezielte (faire und rücksichtsvolle, nicht bei Fachkräftemangel im Herkunftsland greifende) Abwerbung nach Branchen aus dem Ausland und 2. eine bessere Integration, d.h. die Verhinderung von Arbeitsmarkttätigkeit unter Niveau u.a. durch eine zielorientierte Vorintegrationspolitik, die Anerkennung von mitgebrachten Qualifikationen durch den Ausbau von geeigneten Weiterbildungsstrukturen sowie den Ausbau von Vorqualifizierungs- und Vorintegrationsangeboten. Ausländische Studierende sollen besondere Unterstützung bei der Arbeitsmarktintegration in Deutschland erhalten. Die Arbeitsmarktpotenziale von aus humanitären Gründen Geflüchteten sollen durch Maßnahmen wie Anpassungs- bzw. Nachqualifizierung und Willkommenslotsen in Unternehmen stärker genutzt werden. Das Programm Integration durch Qualifizierung (IQ) sowie das Informationsportal Anerkennung in Deutschland sollen bei der Arbeitsmarktintegration unterstützen.

Die Fachkräftestrategie verfolgt einen guten Ansatz: Die Bekämpfung des Fachkräftemangels wird als besonders wichtige aktuelle Aufgabe begriffen, die hohe individuelle, gesellschaftliche und ökonomische Relevanz von Bildung erkannt, die Schaffung attraktiver Rahmenbedingungen für Lehren und Lernen als ein zentrales Ziel von Politik verstanden. Es wird verstärkt auf Vernetzung, Ganzheitlichkeit, Nachhaltigkeit und Innovation sowie eine Orientierung auf individuelle Lerngewohnheiten und -bedarfe gesetzt. Die Entwicklung einer abgestimmten, in sich schlüssigen und widerspruchsfreien Gesamtstrategie ist ein ambitioniertes und sinnvolles Vorhaben. Die Strategie setzt richtige Schwerpunkte und kündigt vielversprechende Impulse an.

In vielen Kontexten wird es nun darauf ankommen, dass sich die guten Ansätze in einer geeigneten und auch im Detail zielgerichteten Umsetzung konkretisieren – hier bleibt aktuell noch Vieles offen, z.B. bezüglich der Gestaltung der Ausbildungsgarantie oder der Nationalen Online Weiterbildungsplattform. Enttäuschend ist, dass sich in der Fachkräftestrategie keinerlei Aussagen dazu finden lassen, wie die Regierung die Bildungsinfrastruktur angesichts der aktuellen ökonomischen Herausforderungen (Inflation, massiv steigende Betriebsmittelkosten insbesondere im Bereich der Energiekosten) schützen und bewahren möchte. Dies überrascht insbesondere vor dem Hintergrund der ansonsten in der Fachkräftestrategie Ausdruck findenden Anerkennung der Systemrelevanz von Bildungsressourcen.

Wichtig wird auch sein, dass die gute Gesamtstrategie nicht durch Einzelentscheidungen konterkariert wird. Das aktuell aus dem Gesundheitsministerium angestoßene Projekt einer Vollakademisierung der Ausbildung in der Physiotherapie fügt sich überhaupt nicht in die sinnvolle Gesamtstrategie ein. Es läuft einer Stärkung der Ausbildungsgänge im Gesundheitswesen zuwider, geht mit massiven Risiken für den Fachkräftebedarf einher und sollte dringend unterbunden werden.

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